BJÖRN OGNIBENI 欧博洋

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Was die erstaunliche Diskussion zu Atemmasken im Kampf gegen COVID-19 über den Westen aussagt.

ChinaBriefs Kolumne, erschienen in FOCUS Online/DLDaily am 24.03.2020

In unserer letzten Kolumne ging es um die Auswirkungen von COVID-19 auf das alltägliche Leben in China. Gerade mal zwei Wochen später können wir genau die gleichen Dinge direkt vor unserer Haustür erleben. Dabei hätte ich damals noch gedacht, dass die drakonischsten Maßnahmen aus China, wie flächendeckende Ausgangssperren, bei uns kaum durchsetzbar wären. Aber sie waren es. Und zwar sehr schnell.

Doch gleichzeitig verzichten wir auf viele weniger drastische, dafür aber sehr effektive Maßnahmen aus Asien. Gerade demokratische Länder wie Südkorea zeigen, dass man Ausbrüche auch in den Griff bekommen kann ohne als Nebenwirkung die gesamte Volkswirtschaft zu gefährden.

Eine solch eher simple Maßnahme ist die allgemeine Pflicht eine Atemmaske zu tragen. In Asien vollkommen normal, bei uns eine Diskussion mit immer abstruseren Zügen. Doch aus ihr kann man viel über grundlegende kulturelle Unterschiede zwischen dem Westen und Asien lernen.

Um eines klar vorab zu sagen: inzwischen ist wohl jedem bewusst, dass wir im Westen nicht genug medizinische Schutzmasken haben. Diese gehören in die Hände von Profis, die sich selbst schützen müssen! Wer nicht im Krankenhaus arbeitet, benötigt diese Masken nicht und sollte sie denen überlassen, die darauf angewiesen sind.

Zum Glück gibt es aber viele Möglichkeiten sich Behelfsmasken selbst zu basteln und in Studien sieht man, dass sie besser funktionieren, als man häufig denkt. Die Feuerwehr der Stadt Essen hat dafür eine Anleitung ins Netz gestellt und auf Youtube gibt es viele Anregungen, was man hier tun kann — teilweise mit einfachsten Mitteln:

Was in Asien eine Selbstverständlichkeit ist, wird hier zur Glaubensfrage erklärt: bringen solche Masken etwas oder sind sie totaler Quatsch?

Das liegt an einem grundsätzlichen Missverständnis.

Im Westen geht es hierbei immer um den Selbstschutz und darum, inwiefern ich mich mit einer solchen Do-It-Yourself Maske schützen kann. Das Urteil dazu lautet “besser als nichts, aber viel bringt sie nicht”. Worauf nach westlicher Logik die Frage folgt: “wenn ich mich selbst nicht perfekt damit schützen kann, wieso sollte ich sowas tragen?”

Die Antwort darauf kennt man in Asien. Denn wer dort krank ist, achtet von sich aus darauf niemanden anzustecken — das wäre unhöflich. Und deshalb tragen viele Asiaten auch in normalen Zeiten eine Maske, denn das Masken für den Fremdschutz gut funktionieren, ist absolut unstrittig. Man trägt sie dort also häufig mehr um die Gemeinschaft zu schützen, als sich selbst.

Der Virologe Christian Drosten diskutiert das Thema “Maske oder nicht” recht ausführlich in seinem täglichen NDR-Podcast vom 23.03. Für ihn ist es vor allem eine Frage der Höflichkeit und wir sind halt nicht so höflich, wie die Asiaten. Deshalb ist es auch eher unwahrscheinlich, dass wir bereit wären alle Masken zu tragen.

Doch wer dies als eine primär kulturelle Frage sieht, dem unterläuft ein Denkfehler, der einiges über die westliche Gesellschaft aussagt.

Denn bei SARS-CoV-2 weiss niemand, ob er infiziert ist oder nicht. Jeder kann potenziell das Virus verbreiten ohne es zu wissen. In so einer Situation macht es für den Fremdschutz absolut Sinn, dass alle eine Maske tragen. Denn so ist sichergestellt, dass auch jeder Infizierte eine trägt und sich die Gefahr der Verbreitung insgesamt reduziert.

Eine bestechend einfache Logik, die jeden in Asien dazu bringt eine Maske aufzusetzen. Doch im Westen wird das Thema immer noch unter dem Aspekt des unsicheren Eigenschutzes kontrovers diskutiert. Nur übersieht man dabei eine wichtige Tatsache:

  • Der Wunsch in Asien die Gemeinschaft zu schützen, sorgt gleichzeitig für einen indirekten, aber trotzdem effektiven Selbstschutz, denn bei COVID-19 schützt man mit der Gesellschaft auch sich selbst.

  • Im Westen dagegen, wo der Schutz der Gemeinschaft optionale “Höflichkeit” ist, verzichtet man mit dem Fremdschutz auch gleichzeitig auf genau diesen indirekten Selbstschutz — das Individuum, das eher an sich, als an die Gemeinschaft denkt, gefährdet dadurch sich selbst.

Diese unbedachte Selbstgefährdung macht auch wieder ein Phänomen sichtbar, das ich in einer früheren Kolumne bereits beschrieben hatte — die “asymmetrische Ignoranz” zwischen dem Westen und Asien. Während Asiaten immer bereit sind von anderen zu lernen, verschliessen wir uns dem selbst in einer existentiellen Krise. Und das geht weit über das Thema Atemmasken hinaus.

Zwar übernehmen wir die drakonischsten Maßnahmen aus China, aber wir verzichten weitgehend auf Dinge, die laut WHO für den Erfolg dort entscheidend waren. Demokratische Länder wie Südkorea kommen ohne Beschränkung von Grundrechten aus und sind trotzdem im Kampf gegen COVID-19 sehr erfolgreich.

Aber statt von ihnen zu lernen, bezweifeln wir lieber pauschal die Wirksamkeit der dortigen Maßnahmen, starten Meta-Diskussionen über kulturelle Unterschiede oder suchen instintiv nach Gründen, warum Dinge nicht vergleichbar sind — wir diskutieren viel, nur tun eines nicht: die Erfolge objektiv analysieren und unvoreingenommen überlegen, wie wir die dabei gemachten Erfahrungen für uns nutzen könnten.

Stattdessen wetten wir darauf, dass wir es besser wissen und ich kann nur hoffen, dass der Westen damit richtig liegt. Denn unser Wetteinsatz sind tausende Menschenleben und unsere kompletten Volkswirtschaften. Beides werden wir verlieren, wenn wir irren…